70 Jahre Modellbahn in und um Meißen
Wie wird man Mitglied eines der ältesten und bekanntesten Modellbahnvereine in Sachsen? Bei mir war das so: vor ca. 15 Jahren, an einem Wochenende, fuhren wir in Familie zum Bahnhof Radeburg. Wir öffneten die Tür zum Güterboden und erblickten im Halbdunkel die in U-Form aufgebaute und in ihrer Ausdehnung imponierende Modellbahnanlage in der Spurweite H0 – und ich war gefangen. Gefangen schaute ich den langen Zügen hinterher, die sich über die zweigleisige Hauptstrecke wanden, gebannt bestaunte ich den Fahr- und Rangierbetrieb auf der Nebenbahn mit den Industriegleisen, fasziniert schaute ich auf die vielen kleinen Szenen und Details wie das Carsystem mit Drehscheibe in einer Fabrikhalle, die Straßenbahn durch die Stadt oder das sich wie von Geisterhand öffnende Tor für den Gleisanschluss zur Glasfabrik. Schwer beeindruckt verließ ich den Güterboden und wurde wenige Wochen später Vereinsmitglied dieses geschichtsträchtigen Vereins. Doch über diese Historie wusste ich damals noch nichts.
Denn die heutige Arbeitsgemeinschaft Modellbahn Meißen e. V. erblickte bereits im Jahr 1951 auf Initiative von fünf modellbahnbegeisterten Kollegen das Licht der Welt – als betriebliche Arbeitsgemeinschaft des VEB Elektrowärme Sörnewitz (EWS). Schon bald zählte die Gruppe zehn Mitglieder, die von der Werkleitung des EWS mit Räumlichkeiten und finanziellen Mitteln ausgestattet wurde. Schon im Herbst des Jahres 1952 hatte sich auf Initiative der Sörnewitzer Modellbahner auch in Meißen eine Arbeitsgemeinschaft Modellbahn gegründet. Anfang 1953 schlossen sich beide Modellbahngruppen zusammen. Die neue Arbeitsgemeinschaft bezog mit Unterstützung vieler Betriebe neue Vereinsräume im Bahnhof Meißen. Im Laufe des Jahres 1953 zählte der Verein bereits 40 Mitglieder, betreute noch 15 Junge Pioniere und baute fleißig an der Modellbahnanlage und an Fahrzeugen. Auf den regelmäßigen Ausstellungen in Meißen konnten sich die Besucher von den Baufortschritten der immer wieder erweiterten Anlage überzeugen, bis die Modellbahner im Jahr 1958 eine neue Modellbahnanlage ihrem Publikum vorstellten. Neben regelmäßigen Anlagenpräsentationen in Meißen und Umgebung führte die Arbeitsgemeinschaft Modellbahn seit 1959 regelmäßig eine Weihnachtsausstellung in Meißen durch und präsentierte sich mit ihrer H0-Gemeinschaftsanlage auch auf auswärtigen Ausstellungen und Messen in ganz Europa, was sich bis zum heutigen Tag fortgesetzt. Besondere Höhepunkte in der Vereinsgeschichte waren 1963 die Ausstellung in Görlitz und die vierwöchige Ausstellung zum Weihnachtsmarkt in Berlin, 1964 und 1982 die Ausstellungsreisen nach Budapest, 1974 und 1985 die Ausstellungen am Berliner Fernsehturm, 1994 die Teilnahme an der Intermodellbau in Dortmund, 1997 und 2008 die Ausstellungsreisen nach Uetrecht und ebenfalls 1997 nach Wien, 2004 und 2007 die Ausstellungen in Görlitz sowie 2008 die Teilnahme an der Modell – Hobby – Spiel in Leipzig.
Der Meißner Modellbahnverein gehörte 1962 auch zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Modelleisenbahnverbandes (DMV). Seit der Wende ist der Verein auch eines der größten Mitglieder in der SMV.
Im Jahr 1969 unterstützten die Meißner mit Ausstellungen in Marienberg und Neuhausen im Erzgebirge die Gründung zweier neuer Arbeitsgemeinschaften, wobei mit den Marienbergern durch die Vorstandstätigkeit des ehemaligen Meißners Werner Ilgner eine langjährige und produktive Zusammenarbeit sowie zahlreiche Kleinserienmodelle entstanden. 1970 fassten die Modellbahner aus Meißen nach zahlreichen Diskussionen den Entschluss, eine neue Gemeinschaftsanlage nach dem Standardisierten Modellbahnsystem (SMBS) zu bauen, das einen variablen Aufbau der Anlage ermöglichen sollte. Wie wegweisend und klug diese Entscheidung damals war, zeigt sich darin, dass diese Anlage auch nach über 50 Jahren noch den Grundstein unserer heutigen großen Vereinsanlage bildet, die damals wie heute die Anerkennung vieler Besucher findet.
Zum Wahrzeichen aller Meißner Gemeinschaftsanlagen wurde auf Anregung des langjährigen Vorsitzenden Gerhard Steiniger (†) die Müngstener Brücke, die seit 1955 als Holzmodell von Rolf Häßlich (†) die Anlagen bereicherte. Das aktuelle Brückenmodell baute Olaf Herfen (†) von 1965 bis 68 aus Schienenprofilen und Draht.
Die Geschichte des Vereins ist aber auch eine Geschichte der Raumprobleme, der Baustellen und Bauaktivitäten, des Auf- und Abbaus, des Hoffen und Bangens und führte die Modellbahner über mehrere Stationen in Meißen nach Coswig und unter ihrem Vorsitzenden Klaus Grundkötter schließlich 1999 in die heutigen Vereinsräume nach Großkagen zwischen Meißen und Lommatzsch, was sich ebenfalls als eine sehr kluge Entscheidung herausstellte.
Und dort treffen wir uns derzeit nach der langen Zwangspause wieder, um unsere große Modellbahnanlage zu verschönern sowie die Jugendanlage weiterzubauen und unsere anderen Anlagen zu überarbeiten. Der erste Höhepunkt nach der langen Corona-Pause liegt auch schon hinter uns. Vom 16. bis 18. Juli 2021 veranstalteten wir wieder unsere traditionelle Sommerausstellung. Auch wenn diese in etwas kleinerem Rahmen stattfand, stand sie doch ganz im Zeichen unseres 70-jährigen Vereinsjubiläums. So freute es uns sehr, dass trotz (oder gerade wegen) des wechselhaften Wetters viele Besucher den Weg in unser Vereinsdomizil fand. Auch Vertreter des SMV Vorstandes besuchten die Ausstellung und überbrachten die Glückwünsche des Verbandes.
Übrigens: ich bin immer noch – wie beim ersten Mal – beeindruckt von unserer wunderschönen, sich immer wieder verändernden Modellbahnanlage, und ich freue mich darauf, auch im 71. Jahr mit allen Vereinsmitgliedern das Werk der Alten zu bewahren und die erfolgreiche Geschichte der Arbeitsgemeinschaft Modellbahn Meißen e. V. fortzuschreiben.
Nun freue ich mich auf die nächste große Ausstellung. Denn wir werden unsere H0-Gemeinschaftsanlage dem Vereinsjubiläum angemessen im Vollausbau auf der modell-hobby-spiel in Leipzig zeigen. In der Hoffnung, dass das alles so stattfinden darf, freuen wir uns auf viele interessierte Besucher.
Text: Dirk Weithase (Vereinsvorsitzender SMV003)